Vier populäre Mythen über das Reinheitsgebot

Heute ist Tag des deutschen Bieres. Juhu! Und: Oh je. Denn gefeiert wird eigentlich nicht der von uns allen geliebte Hopfentrunk an sich, sondern das Reinheitsgebot. Das älteste Lebensmittelgesetz der Welt – und das meist falsch verstandenste. Vier populäre Mythen über das Reinheitsgebot zum Tag des Bieres.

1. Hopfen und Malz und Wasser und Hefe

Bei ziemlich vielen Brauerei-Führungen, selbst im bier-überaffinen Oberfranken ist mir das passiert, wird das Reinheitsgebot von 1516 so erklärt: Mit der Einführung des Reinheitsgebotes wurde laut Gesetz festgeschrieben, dass deutsches Bier in der Bundesrepublik Deutschland ausschließlich aus Malz, Hopfen, Hefe und Wasser hergestellt wird. Erstens gab’s die Bundesrepublik damals noch gar nicht, aber dazu später. Die Hefe steht nicht im Original-Text von 1516. Denn sie war im 16. Jahrhundert noch nicht bekannt. Jedenfalls nicht zum Bierbrauen. Dass man da so ein Wundermittel zum Backen braucht, war alles, was man zu dem Zeitpunkt über die Hefe wusste. Und da viele Bäckereien damals auch Braurecht hatten und sehr viel Bier in Backstuben gebraut wurde, war immer genug Hefe in der Luft und überall und half dem Bier bei der Vergärung – ganz unbewusst hatten damalige Brauer also schon die Hefe als vierte Zutat genutzt. Aber ihre Funktonsweise für den Brauprozess war nicht bekannt. Die Erforschung der Hefe begann in Deutschland erst im 19. Jahrhundert. Und auch heute noch ist sie ein Mysterium mit vielen Unbekannten, beispielsweise was die Aromen angeht. Denn genau wie Hopfen liefert die Hefe unterschiedliche Aromen und kann so unterschiedlich eingesetzt werden. Oder mehrere Hefen auf einmal, wie es die Brauer von Frau Gruber machen. Macht natürlich das Bier teurer.

Foto: Kerstin Fritzsche

 

Übrigens war das Malz als solches auch noch nicht im Original-Text enthalten, sondern es ist von „Gerste“ die Rede. Auch das wiederum, weil der Prozess des Mälzens – das Getreide zum Keimen zu bringen und dann zu darren, also zu trocknen – als solcher ebenfalls damals noch nicht bekannt war.

 

2. Durch das Reinheitsgebot ist gleichbleibende Qualität gesichert

Ja, aber. Auch heute noch ist das Reinheitsgebot extrem wichtig für den Export. Deutsches Bier ist Kultur- und Genussgut weltweit. Gerade bei Pils, Export und Weißbier sind deutsche Standards unangefochten und weltweit anerkannt. Aber damals wir heute misst sich daran vor allem der Preis. Heute heißt das, dass ein Unterbietungswettbewerb unter den Großen stattfindet, wer billiger produzieren und vertreiben kann. Vertriebsstrukturen sind ein brutales Geschäft. Das war 1516 nicht anders, und der „Vertriebsmanager“ hieß Wilhelm IV.. Die Verordnung des bayerischen Herzogs regelte in erster Linie nicht die Zutaten, sondern, was genau eine Maß ist, wie viel sie kosten und wer sie wie vertreiben darf. Und dass anderes Bier als Märzen teurer verkauft werden muss. Daran wiederum knüpften sich entsprechende Abgaben an den Herzog. Mit dem Reinheitsgebot wurde also nicht die Gewichtung von Bier-Zutaten für den Brauprozess geregelt.

Zwar hat das Reinheitsgebot auch gesundheitliche und damit Qualitätsgründe. Denn man wollte das Bier rein halten von Gewürz- und sonstigen Beigaben, weil das in der Tat damals gefährlich war. Bevor man Hopfen und dessen konservierende Wirkung kannte, wurde Bier mit einer Kräutermischung, dem sogenannten Gruit, gebraut. Und da kam alles Mögliche hinein, sogar Ochsengalle. Manch ein Kraut war giftig und sorgte nach Bier-Genuss für Halluziantionen oder führte sogar an den Rand der Blindheit. Das sollte unterbunden werden. Versteckt ging damit aber auch eine andere für Herzog, Kirche und die Fürsten praktische Regelung einher: Mit der Verordnung, nur Gerste zu nutzen, wurde der Weizen gesichert und monopolisiert – nämlich fürs Weißbier-Brauen, das damals in Bayern ausschließlich den königlichen Brauhäusern vorbehalten war. Das Brotbacken war dabei eigentlich nebensächlich.

Somit war das Reinheitsgebot von 1516 von Anfang an eine rein wirtschaftliche Geschichte – zum Vorteil weniger, zum Nachteil vieler. So wie heute. Hinzu kommt, dass die Industriebrauereien auch kein wirklich reines Bier herstellen, durch Filterung beispielsweise gibt es Mini-Plastik-Rückstände. Und ein helles Bier kann per Zuckercouleur einfach umgefärbt werden in ein dunkles. Was ist daran natürlich und rein?

 

Foto: Kerstin Fritzsche

 

3. Das Reinheitsgebot ist 500 Jahre alt

2016 gab es deutschlandweit ein ganzes Jahr lang große Feierlichkeiten überall, vor allem aber in Bayern, wo das Reinheitsgebot als Verordnung 1516 ersonnen und von den Fürsten unterschrieben wurde (genauer: in Ingolstadt). Das Reinheitsgebot ist aber viel älter. In Franken hat man schon eher damit angefangen, das Bier zu schützen. Nämlich wurde dazu schon 27 Jahre früher in Bamberg ein ähnlich lautendes Gesetz erlassen. Das bayerische Reinheitsgebot vom 23. April 1516 durch den bayerischen Herzog Wilhelm IV. galt in Bamberg erst, als das Hochstift 1803 Teil Bayerns wurde – weil dann bei den „abtrünnigen“ Franken erst die Landesverordnung juristisch griff.

Übrigens waren eigene Regelungen in den Städten und Fürstentümern nichts Besonderes. Denn es ging ums Geld: um Lizenzen zum Brauen und Bier-Ausschenken. Und um Zölle auf die Rohstoffe. Neben den Fürsten kassierten Stadträte, Großbauern und Bischöfe immer kräftig mit. So wurde in Nürnberg noch früher, nämlich 1303, ein Gesetz erlassen, das verordnete, dass nur Gerste zum Bierbrauen verwendet werden darf. Grund für diese Regelung war, siehe Punkt 2, eine Hungersnot, so dass der nährstoffreichere Weizen zum Brotbacken reserviert werden konnte. Auch in Regensburg oder Augsburg beispielsweise gab es schon früh solche lokalen Gesetzgebungen. Das Besondere am Reinheitsgebot von 1516, wie es nun seit drei Jahren aggressiv vermarktet wird, ist, dass es erstmals ein landesweites für ganz Bayern darstellte.

 

4. Das Reinheitsgebot sichert die Zukunft des deutschen Bieres

Ja, aber, siehe Punkt 2. Für den Export ist wie gesagt das Reinheitsgebot ein Aushängeschild. Aber direkt abschaffen wollen es ja auch die wenigsten. Öffnen, verändern, anpassen – das ist die Devise. Und warum sollte nicht auch Vielfalt, vor allem wenn sie mit alten Bierstilen auch in deutscher Tradition steht, ein Qualitätsmerkmal von deutschem Bier sein können? Außerdem könnten dann vielleicht auch kleine Brauereien vom Export-Kuchen was abhaben. Eben weil sie kein gewöhnliches Bier machen.

Deswegen gibt es eine immer breitere Bewegung für die Ergänzung des Reinheitsgebot hin zum Natürlichkeitsgebot. Der Allererste, der so etwas formulierte, war der Chef der Hamburger Kehrwieder-Brauerei Oliver Wesseloh. Wesseloh war von 2013 bis 2015 Weltmeister der Bier-Sommeliers und ist in Deutschland einer der Pioniere der Craftbier-Bewegung. In seinem Buch „Bier leben“ legt er dar, wie Bier als „Kreativbier“ neu definiert werden müsste:

Inhabergeführt: Die Brauerei sollte inhabergeführt und der Hauptanteilseigner sollte aktiv am Tagesgeschäft beteiligt sein.

Transparenz: Alle verwendeten Roh- und Hilfsstoffe werden klar und detailliert benannt, der Brauort wird angegeben, ebenfalls die Teilhaber an dem Unternehmen, auch bei verschachtelten Beteiligungsgesellschaften. Denn Transparenz schafft Authentizität.

Vielfalt: Ein kreativer Brauer schließt keine Lieferverträge. Wir stehen alle dafür, dass die Konsumenten möglichst viele verschiedene Bierstile probieren, um daran Freude zu finden. Eine Brauerei, die Gastronomen per Liefervertrag vorschreibt, nur die eigenen bzw. Biere aus dem eigenen Lieferverbund zu verkaufen, verhindert Vielfalt.

Natürlichkeit: Ein Kreativbrauer nutzt nur natürliche, nicht genmanipulierte Rohstoffe. Dazu können auch Früchte, Kräuter oder Gewürze gehören, aber definitiv keine Extrakte oder künstlichen Rohstoffe. Alle Zutaten und Verfahrensschritte dienen primär nur dem Geschmack und nicht der künstlichen Verlängerung der Haltbarkeit.

Bei Podiumsdiskussionen nennt er als Beispiel den Fall von Camba Bavaria. Die bayerische Craft-Brauerei musste vor ein paar Jahren ihre gesamte Produktion eines Milk Stouts entsorgen, weil das Bier in Bayern nicht als Bier anerkannt wurde und demnach auch nicht vertrieben werden durfte.

Wesseloh: „Das versteht kein Mensch!“

Christian Hans Müller von Hanscraft in Aschaffenburg wich nach Ämter-Krieg nach Niedersachsen aus und braute bei Mashsee in Hannover sein Witbier „Very White Pornstar“ (wie das Bier bei den Nachbarn in Großbritannien gesehen wird, kann man übrigens hier nachgucken.). Während in den anderen Bundesländern das Brauen von besonderen Bieren zunehmend mit einer Sonder-Genehmigung möglich ist, ist es das in Bayern nach wie vor nicht. Bayern hat die strengste Gesetzeslage.

Auch der vor rund einem Jahr gegründete Verein Deutscher Kreativbrauer kämpft dagegen an. Ihre Agenda ist ähnlich der von Wesseloh:

„Wer in Deutschland Bier brauen und verkaufen möchte, ist an das Vorläufige Biergesetz (VorlBierG) von 1993 gebunden, das so genannte Reinheitsgebot. Doch das ‚VorlBierG‘ erlaubt den Bierkonzernen mehr als man denkt: Zuckerzusätze, Konzentrate und chemische Filterstoffe.

Kleine handwerkliche Brauereien hingegen, die natürliche Zutaten wie Maronen oder frische Beeren einsetzen möchten, dürfen ihr Bier in Deutschland ohne Sondergenehmigung nicht als Bier verkaufen.

Die Deutschen Kreativbrauer haben deshalb einen eigenen Qualitätsstandard entwickelt: das Natürlichkeitsgebot. Wir setzen uns für eine deutschlandweit einheitliche Regelung ein, die Brauern in allen Bundesländern gleichermaßen das Brauen mit natürlichen, für den menschlichen Verzehr zugelassenen, Zutaten erlaubt.“

Auf eher langsame Veränderung von innen setzen einige bayerische Brauer, zB Jeff Maisel, Chef von Maisel’s und Maisel & Friends in Bayreuth. Er ist Mitglied im Beirat des Bayerischen Brauer-Bundes. Und hatte Anfang 2016 vor Beginn der Feierlichkeiten zum Reinheitsgebot auf Facebook ein Statement verfasst. Titel: „Wir sind pro Reinheitsgebot, aber…“. Er schrieb darin: „Seit 500 Jahren ist das Reinheitsgebot Garant für die außerordentliche Qualität deutscher Biere, und die Verbraucher verlassen sich zurecht darauf. Wir halten das Reinheitsgebot daher für unbedingt schützenswert!

Seit Generationen beweisen deutsche Brauer, dass sich mit nur vier Zutaten vielfältige, geschmackvolle und außergewöhnliche Biere brauen lassen.

Allerdings sind für einige traditionelle, internationale Bierstile und moderne Rezepturen Zutaten wie beispielsweise Koriander und Orangenschalen erforderlich, die aufgrund des besonders strengen Reinheitsgebotes in Bayern nicht verwendet werden dürfen. Dass Bierliebhaber solche Spezialitäten genießen und bayerische Brauer diese kreieren möchten, verstehen wir voll und ganz – auch wir würden das gerne tun. Zuvor muss allerdings gewährleistet sein, dass auch diese Spezialitäten einer rechtsverbindlichen Grundlage bzw. einem ‚Reinheitskodex‘ unterliegen, damit ausschließlich reine, natürliche Zutaten verwendet werden. Ohne eine solche Regelung kann nicht verhindert werden, dass auch künstliche Aromen, Enzyme oder Konservierungsstoffe ihren Weg ins Getränk finden – diese haben unserer Meinung nach darin nichts verloren.“

Deswegen hat er eine Arbeitsgruppe innerhalb des Bayerischen Brauer-Bundes initiiert, um einen Rahmen für diese anderen Bierstile zu schaffen. Der Weg scheint mühsam, mehr als ein Jahr später hat sich noch nichts verändert in Bayern. Im Gegenteil, der Brauer-Bund gab kurz darauf eine beschlossene Verschärfung bekannt: Er habe „entschieden, die Lebensmittelüberwachungsbehörden der Länder aufzufordern, sich verbindlich und bundeseinheitlich darauf zu verständigen, welche Produkte als ‚besondere Biere‘ überhaupt genehmigungsfähig sind. Ziel ist dabei eine Beschränkung auf solche Biere, die nachweislich auf eine deutsche Brautradition vor 1906 verweisen können; sich dagegen ausgesprochen, durch die Verwendung anderer Bezeichnungen für Produkte, bei denen es sich augenscheinlich um Bier handelt, einer beliebigen Umgehung des Reinheitsgebotes Tür und Tor zu öffnen.“ Alle Beschlüsse waren einstimmig ohne Enthaltungen angenommen worden, also auch von Maisel.

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