So tickt die Bierbranche

„Kein Buch für Liebhaber“ – im Frühjahr ist „Bierbusiness. Was die Branche denkt“ von Werner Beutelmeyer und Conrad Seidl erschienen. Dem Buch liegen Daten aus einer Befragung von über 3.000 Menschen aus der Bierbranche aus der ersten Jahreshälfte 2016 zugrunde. Da ich freundlicherweise auch zu diesen Menschen in der Bierbranche gerechnet wurde und das Buch seit Mai bei mir rumliegt, muss ich jetzt auch noch mal ein paar Wort darüber loswerden.

Zuallererst: Dass es kein Buch für Bier-Liebhaber ist, wie die Autoren betonen, stimmt nicht. Denn es geht um alles, was uns alle in der Bierbranche bewegt – und damit auch den Konsumenten. Vielleicht nicht so tiefgründig wie Braumeister, Journalisten, Sommeliers, Vertriebler, Getränkehersteller, Gastronomen, Händler und Funktionäre in dem Bereich. Aber nicht zuletzt durch den Craftbier-Boom auch in Deutschland und Österreich haben die Konsumenten verstärktes Interesse daran, wie sich Preise zusammensetzen, wo die Rohstoffe herkommen und wie sie verarbeitet werden, wie Biere bewertet werden und wo unter welchen Umständen und nicht zuletzt vor allem daran, wer diejenigen sind, die kreativ und innovativ mit dem Genussmittel Bier umgehen. Stadtgeschichte ist immer auch Biergeschichte und umgekehrt, um nicht zu sagen Kulturgeschichte – das ein nicht zu unterschätzender Faktor, vor allem im Tourismus, und Geschmack und Geschäft gehen nicht erst seit kurzem Hand in Hand auch beim Endkunden des Produktes Bier.

So ist das Buch im Gegenteil für all die vielleicht sogar interessanter, die nicht unbedingt beruflich mit dem Thema Bier befasst sind. Seidl und Beutelmeyer liefern zunächst eine historische Einordnung, sammeln und vergleichen Zahlen in der Bierbranche, analysieren den Markt, listen auf, welche Craft-Brauerei wann gekauft wurde (ja genau, die meisten 2016 entweder von Anheuser-Busch InBev oder MillerCoors) und sind dann erst einmal auf der Suche nach dem, was laut den Befragten ein richtig gutes Bier ausmacht. Sympathisch: Hier wird den gängigen Bier-Wettbewerben, die halt immer noch das Siegel „Qualität“ ausmachen, eine klare Absage erteilt.

Denn Wettbewerbe wie der World Beer Cup oder der European Beer Star definieren vorgegebene Bierstile. Was aber, wenn ein Bierstil vielleicht gar nicht oder nicht eindeutig zu definieren ist? Dann kostet die Teilnahme, sprich das Einschicken der Biere, allein schon ein Schweinegeld. Das kann sich nicht jeder leisten. Vor allem nicht die Mikrobrauereien, die ohnehin keine reale Gewinnchance sehen. Nur wenige sehen die Sache mit den Wettbewerben anders so wie Olly Koblenzer von der Böblinger Kraftbierwerkstatt, der Geld und Aufwand aufbrachte, weil die Bewertung seiner Biere von Experten und deren Rückmeldung einen Qualitätsstandard nicht nur in Sachen Geschmack, sondern auch in Sachen Null-Fehler-Bescheinigung darstellt. „Jetzt hat wenigstens mal jemand unsere Biere untersucht, und wir wissen: Ja, die sind fehlerfrei.“

Überhaupt ist Qualität sozusagen der rote Faden, der das Buch durchzieht, und dabei ist Qualität nicht wie in den Kolumnen und Kommentaren der Bier-Blogs und -Zeitschriften der jüngsten Zeit ein Kampfbegriff, den jede/r nach seinen eigenen Kriterien und Geschmäckern auslegt und vielleicht höchstens noch mit dem Argument „(größtes) Handwerk“ zu belegen versucht. Sondern hier sind die Kriterien in erster Linie, wie durstlöschend und erfrischend das Bier ist und ob es um Weitertrinken anregt. Dann kommt der Duft, der vollmundige Eindruck und verschiedene Geschmacksnuancen. Interessant ist, dass Seidl und Beutelmeyer hierbei auch zwischen Frauen und Männern und den einzelnen befragten Berufsgruppen unterscheiden. Und das sind Daten, die man sonst wohl nicht so einfach bekommen würde.

88% der Befragten, egal welchen Geschechts, sagen, dass ein Bier erfrischend und durstlöschend sein muss. Dieser Punkt habe gegenüber einer Studie von 1997 noch mehr an Bedeutung gewonnen. Mit 66% steht an zweiter Stelle, bei Männern etwas stärker als bei den Frauen und bei Braumeistern und Getränkeherstellern größer als in den anderen Berufsgruppen, der Wunsch, das Bier solle zum Weitertrinken anregen. Logo, wenn ich in eine Braugaststätte oder Kneipe gehe, will ich natürlich auch mehr als ein trinken. Mindestens. Sonst kann ich ja nix beurteilen.Und jetzt kommt der Clou: Die Autoren verknüpfen das dann mit den unterschiedlichen Geschmacksausprägungen und fragen auch, warum Bittere, Malz, Hopfenaroma und herber Geschmack wichtig sind bzw. wo und wann und schließen dann daraufhin allgemein auf den Biercharakter. Auch noch ein Unterscheidungskriterium dabei: das Alter der Befragten. Denn Jüngeren ist ein „prickelnder Eindruck“ und damit die Nähe zu Wein angenehmer. Sie sind da auch experimentierfreudiger in Sachen längere Reifung, Fasslagerung, altersbedingte Veränderungen von Bier. Das ist aber nicht zuletzt eine Frage, ob man ohnehin obergäriges, hochprozentigeres Bier mag. Und irgendwie ja auch eine des Geldbeutels dann irgendwann. Und wozu es passt. Röst- und Fruchtaromen okay, aber ein belgisches Kriek oder auch Chimay Bleu trinkt man ja eher nicht m Essen zum Beispiel.

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Regionalität. So sagen 30 Prozent der Befragten, dass die Biere aus der Gegend, in der sie wohnen, besser sind als bekannte Marken- , also damit auch Massenbiere. Aber mit erheblichen Unterschieden in der Altersstruktur. Unter 30 sind 39 Prozent dieser Meinung, bei den Befragten über 60 nur 25%, so Seidl und Beutelmeyer. Das liege aber wohl auch daran, so die Beiden, dass für viele jüngere Menschen Pils zB ein Allterweltsbier sei, das eben von einer Großbrauerei gebraut wird. Und dann sei der Griff zum Craftbier einfacher, als heimische, unbekannte Bierstile wie Kellerbier kennenzulernen. Drittens sinke der Respekt vor dem Reinheitsgebot ( wir erinnern uns: das ja 2016 den 500. Geburtstag feierte) dahingehend, dass den meisten schon klar sei, dass das Reinheitsgebot kein Garant für guten Geschmack sei.

Ich möchte hier noch einen anderen Grund für diesen großen Unterschied zwischen den Generationen anbringen. Mit dem Blick auf Großbritannien und dem zweimaligen Knick in der Geschichfe des Pubs lässt sich vielleicht so viel auf Deutschland übertragen, dass Ältere gelernt haben, Industriebiere zu trinken. Gerade wenn sie Pilstrinker sind. Außer sie wohnen in Düsseldorf, Köln oder München, wo Alt, Kölsch und Helles ja vor dem Pils an Beliebtheit liegen, ist der Durchschnitts-Kneipengänger zwischen jetzt 50 und 70 keine Vielfalt gewohnt. Von Sorten-Einheitszwang an den Zapfhähnen bis hin zu Brauerei-geführten Kneipen gibt es da viele Gründ, warum lange Zeit regionales Bier eher weniger punkten konnte. Viele mittelgroße regionale Brauereien haben sich da auch nichts getraut, zum Beispiel Henninger in Frankfurt. Nie eine eigene Gastro gemacht, im Prinzip hat man auch jahrelang daran gearbeitet, das eigene Wahrzeichen, den Henninger-Turm, abzuschaffen, und jetzt auf einmal gibt es da eine Braugaststätte. Verrückt.

Hier wiederum gibt es meiner Meinung nach einen Zusammenhang mit dem Image von Bier. Wein galt lange Zeit als automatisch edler, hochwertiger. Das ist nicht mehr so, stellen auch die Autoren des Bierbusiness-Monotorings fest. 78% der Befragten gaben an, dass Image habe sich verbessert. Es trinken viel mehr mehrmals in der Woche Bier als Wein. Dabei hat sich ja nicht unbedingt das Produkt Bier verbessert. Ich denke, es liegt vor allem an der neuen Vielfalt. Inzwischen hat es sich herumgesprochen, dass Bier nicht „dumpf“ ist. Der eine schätzt das Handwerk dahinter, der andere, dass Bier mehr Aromen hat als Wein (Auch wenn diese Tatsache immer noch für großes Stauen sorgt, wenn ich das erzähle.).

Interessant ist aber, wie unterschiedlich Wein- und Bier-Trinker immer noch eingeschätzt werden. 61% und damit die höchste Zustimmung findet beim Bier die Aussage „Das ist ein fröhlicher Mensch“ (zu 37% beim Wein!). Während man dem Wein-Trinken allgemein am meisten (76%) zutraut, dass er zwischen guter und schlechter Qualität unterscheidet. Auch ist in den Augen der Befragten der Bier-Trinker weniger erfolgreich beruflich, weniger wortgewandt, schätzt gutes Essen nicht so sehr und gibt nicht so viel dafür aus und hat ein normales oder unterdurchschnittliches Einkommen. Gerade die letzten beide Punkte sollten Gastronomen und Braumeister nachdenklich stimmen, sind doch Craftbiere preislich über dem Durchschnitt und gehen ausgeklügelte Restaurant-Konzepte mit eigener Karte doch eigentlich gerade Hand in Hand mit dem Bier-Boom. Die beiden Autoren führen diese Ergebnisse darauf zurück, dass der heimische Wein leichter einzuschätzen ist. Das ist vermutlich richtig. Also braucht es noch viel mehr „Aufklärung“ in der Branche, nicht nur durch Sommeliers, sondern auch durch die ganz normalen Brauereien selbst: Ihr habt auch edle Rohstoffe am Start!

Und wie mag die Testperson ihr Bier trinken und wie viel darf es kosten? Hier wird es noch eindeutiger. Wer in Zukunft um Craftbier greift, wird sich wohl mehr oder weniger an der 2-Euro-Grenze entscheiden. Und wer in ein Bierlokal geht, der will in der Regel ganz normale Dinge, die ohnehin selbstverständlich sein sollten: freundliche Bedienung, dass das Bier kalt ist, passende Gläser, Auswahl/Vielfalt, saubere Toletten, dass das Essen schmeckt, gut gezapftes Bier, Hygiene, Biergärten, mehrere Biere vom Fass. Eigentlich gar nicht so schwierig – von der technischen Seite her gesehen. Noch heißt das nicht, dass eine Kneipe dann perfekt ist, so wie George Orwell sein (fiktives) perfektes Pub „Moon under Water“ in einem Zeitungs-Essay 1946 beschrieb, und dem Paul Moody und Robin Turner mit „The Search for the perfect Pub“ 2011 in Großbritannien nachgingen. Denn Atmosphäre herzustellen ist etwas schwieriger. Und „Atmosphäre“ ist ziemlich individuell. Seidl und Beutelmeyer haben nicht nach Einrichtungen gefragt, nach Architektur oder Tradition, nicht nach Live-Angeboten oder Sport-Übertragungen. Hier sei aber die Einschränkung erwähnt, dass die Pub-Tradition in England freilich nicht mit der deutschen Kneipenkultur vergleichbar ist. Mehr zu „The Search for the perfect Pub“ übrigens demnächst hier im Blog.

Und am Ende, wenn man denkt, wow, jetzt haben Seidl und Beutelmeyer aber schon vielschichtig analysiert und damit auch Wege für die Zukunft aufgezeigt (total wichtig: nicht nur feststellen und analysieren, sondern Entwickungen benennen und sich trauen, Thesen zu formulieren!), dann kommen noch ein paar schöne, erhellende Interviews. Zum Beispiel mit Thorsten Schoppe, einem der deutschen Craftbier-Pioniere, Matthias Neidhart, der ausgewählte Biere anderer Bierstile in die USA importiert oder Markus Quadt, der in Lingen ein traditionelles Gasthaus mit Craftbieren veränderte.
Und da kann man nur wieder dafür plädieren, dass jeder, der sich für Bier begeistert, bitte diese Begeisterung auch weitergeben sollte. Jeder ist für sich ein Experte, und über Bier reden kann man nie genug. Genug trinken freilich auch nie. 😉

Beutelmeyer, Werner; Seidl, Conrad: Bierbusiness. Was die Branche denkt. Medianet 2017, 24,95 Euro.

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