Kveik – die norwegische Star-Hefe

Lars Marius Garshol, vossaøl probierend. Foto: Lars Marius Garshol

Spätestens seitdem Stone Brewing Berlin zusammen mit Lervig sein „Hi, I’m Kveik“ herausgebracht hat, ist die norwegische Super-Hefe auch in Deutschland einem größeren Kreis von Bier-Enthusiasten bekannt. Mir wurde im letzten halben Jahr des öfteren von Hobbybrauern von Kveik erzählt, und beim Mainzer Craft Beer Festival im November habe ich ein außergewöhnliches Bier getrunken, das unter anderem mit Kveik gebraut wurde. Aber was macht den neuen Hefe-Star am Craftbier-Himmel aus? Dafür muss man denjenigen fragen, der sich im ganzen Universum am besten mit Kveik auskennt und auch schon darüber geforscht und gebloggt hat: Lars Marius Garshol.

Lars Marius bloggt auf www.garshol.priv.no/blog/. Nicht nur über Bier, aber doch schon viel über Bier, meistens in Verbindung mit dem Reisen. Zum Beispiel ist Lars Marius mir das erste Mal aufgefallen, weil er über das litauische Bier Keptinis geschrieben hat, für das die Maische im Ofen quasi gebacken wird. Ethnografisch beziehungsweise kultursoziologisch gesehen ist Keptinis total interessant, und es verwundert, warum es nicht bekannter ist und sich vor allem nicht weiter, zumindest in Osteuropa, verbreitet hat. Aber das ist eine andere Geschichte und wäre ein anderer Blog-Beitrag, aber sicher ebenfalls ein interessanter, denn über litauisches Bier hat Lars Marius bereits vor ein paar Jahren ein Buch geschrieben, bereits sein zweiter Bier-Guide. Sucht man explizit nach Informationen zur norwegischen Hefe Kveik, dann landet man aber auch ziemlich schnell bei Lars Marius und seinem Blog. Allerdings hat seine Begeisterung für Kveik viel mit litauischem Bier zu tun. „Am Anfang ging es nur darum herauszufinden, warum litauisches Industriebier so anders ist als Bier in anderen Ländern“, erzählt Lars Marius. „2013 fand ich dann heraus, dass es daran liegt, dass es Farmhouse Ale ist. Denn auch die kommerziellen Brauer brauten traditionell wie sie es von ihren Eltern und Großeltern gelernt hatten. Und modernen Brauen spielte bei ihnen gar keine Rolle. Und dann fiel mir auf, dass es in Norwegen auch eine Tradition von Farmhouse Ales gibt, dass ich darüber aber eigentlich gar nichts wusste.“ Zusammen mit Martin Thibault machte er sich dann eine Woche lang auf, diese Bier-Kultur seiner Heimat zu erforschen. Und während dieser Reise hörte Lars Marius dann erstmals von der Kveik. „Dass es eine Brauhefe gibt, die Menschen seit Jahrhunderten nutzen, faszinierte mich. Und als wir dann Sigmund Gjernes in Voss besuchten, lernten wir, dass die Hefe sich auch noch recht eigenartig verhält, und mein Interesse wuchs. Ja, gut, man kann vermutlich schon sagen, dass es sich zu einer Obsession entwickelte!

Lars Marius lebt im Speckgürtel von Oslo und ist von Haus aus Software-Ingenieur, arbeitet in dieser Funktion momentan als Berater, Arbeitsschwerpunkt Informationsintegration für das semantische Web. Neben Reisen und Bier hat er ein starkes Interesse für Architektur und natürlich neue, vor allem semantische Technologien. Und als ich mich so durch seine Erfahrungen mit Kveik gelesen habe, dachte ich, ich frag ihn einfach selbst. Lars Marius war sofort bereit, Rede und Antwort zu stehen. Erstaunlicherweise kriegt er gar nicht so viele Anfragen zum Thema Kveik und ist nicht unterwegs auf Festivals oder so. Sagt Lars Marius jedenfalls bescheiden. Aber direkt vor Weihnachten hat er die Organisation eines Farmhouse Ale Festivals übernommen, weil der Vorgänger an Krebs gestorben ist. Ich bin aber sicher, in Sachen Kveik gibt es für Lars Marius immer noch weiterhin viel zu tun. 😉

Wie alt ist Kveik?

Lars Marius Garshol: Wie alt die Kveik ist, wissen wir nicht. Ein paar Forscher haben 2016 versucht herauszubekommen, wie alt die beiden Stamm-Familien sind, die sogenannten Bier-1- und Bier-2-Familien, aber die Methode ist nicht hundertprozentig vertrauenswürdig zur Bestimmung, deswegen haben wir sie bei der Kveik auch nicht angewandt. Aber was wir wissen, ist, dass vermutlich jeder Farmhouse-Brauer in West-Norwegen Hefe vom selben Stamm nutzt. Und zwar in der ganzen Region von Odda in Hardanger im Süden bis nach Sykkylven in Sunnmøre und noch weiter im Norden. Es muss jedoch sehr lange gedauert haben, bis dieser Hefe-Stamm sich über eine so große Region ausgebreitet haben konnte und dabei andere ausgestochen hat. Kurzum heißt das: Die Kveik ist auf jeden Fall schon mehrere Jahrhunderte alt. Ob aber vier, acht oder 12 Jahrhunderte – das wissen wir nicht.

Wurde die Kveik importiert, oder ist sie sozusagen „original norwegisch“?

Lars Marius: Von der Genetik her kann man sagen, dass die Kveik zu der Bier-1-Familie von Hefen gehört, also müsste sie irgendwann mal von Belgien oder Deutschland importiert worden sein. Man weiß auch sicher, dass die Kveik ein Ergebnis der Fusion von Bier-1-Stammhefe mit einer unbekannten Hefe ist. Hier ist der Punkt, woher wohl die ganzen Eigenschaften kommen, die die Kveik so einzigartig machen. Und die interessante Frage dahinter ist natürlich, ob diese Entstehung in Norwegen passierte oder woanders. Leider wissen wir das auch nicht. Ich denke, man kann aber trotzdem sagen, dass Kveik „original norwegisch“ ist, weil sie ja bereits seit Jahrhunderten bei uns ist und nirgendwo sonst auf der Welt existiert – jedenfalls nicht in der Menge, so viel wir zum jetzigen Zeitpunkt wissen.

Warum gibt es dann aber immer vergleichsweise wenig Wissen und Forschung über die Kveik?

Lars Marius: Tja… bis 2014 wussten sogar nur ganz, ganz wenige überhaupt von der Existenz von Kveik. Michael Jackson (genau, DER englische Bierpapst 😉 ) sammelte mal ein Voss-Sample in den 90ern ein, aber dann passierte nich viel. Dann gab es noch mal zwei Brauer, die 2009 bzw. 2013 ein Voss-Sample untersuchen wollten, aber auch da passierte nichts.
Außerdem glaube ich, dass abgesehen von Farmhouse-Brauern niemand bis 2014 wusste, dass traditionelle Hefe auch außerhalb von Voss existierte. Dass das die gleiche Art Hefe war, die wir erst 2, 3 Jahre zuvor entdeckt hatten. Also ist auch bei uns in Norwegen das Wissen über die Kveik noch nicht soooo weit, weil wir erst seit ein paar Jahren wissen, dass es sie gibt und sie also weiter verbreitet ist, als wir bisher dachten.

Und was ist jetzt das Besondere an der Kveik?

Lars Marius: Das sind ganz viele Dinge. Allem voran, dass es eine richtige Farmhouse-Hefe ist, die in dieser bei uns sehr traditionellen Art zu brauen bis heute überlebt hat. Das ist wirklich einzigartig: Sie wurde weitergegeben vom Großvater zum Vater zum Sohn – in diesen ganzen einzelnen Familienlinien! Und auch die Kveiks selbst kommen alle vermutlich aus einem Hefe-Stamm und sind zumindest meistens mit hoher Wahrscheinlichkeit miteinander verwandt. Trotzdem sind die Variationen relativ hoch im Vergleich mit anderen Brauhefen aus anderen Stämmen.
Dann ist der Geschmack ziemlich speziell. Kveik ist sehr aromatisch, also aromatischer als die meisten Hefen, sehr fruchtig. Kveik schmeckt nach Orangen, Melonen, Ananas, Mango, … Fruchtige Aromen, die sonst nicht unbedingt alle auf eine einzige andere Hefe vereinbar sind. Brettanomyces (kurz „Brett“ in der Brauszene, also Hefen, die Bier nach Pferdestall, Ziegenherde, Bauernhof oder Leder schmecken lassen – in Wein ein heftiger Fehlgeschmack), Saison-Hefen und Hefen, die man für Hefeweizen nutzt, sind vermutlich am ehesten vergleichbar, denke ich.
Und dann sind die Brau-Eigenschaften ziemlich einzigartig.

Was bedeutet es für den Brau-Prozess, wenn man Kveik nutzt?

Lars Marius: Sehr, sehr viel! Überraschend viel. Das Offensichtlichste ist, dass diese Hefen bei hohen Temperaturen von 30 bis 40 Grad Celsius fermentieren, die Voss Kveik fermentiert beispielsweise bei 39 Grad. Wenn man also als Brauer irgendwo lebt, wo die Temperaturen im Sommer ziemlich hoch gehen, kann man fast das ganze Jahr über mit diesen Hefen arbeiten und braucht keine Kühlung. Die andere erstaunliche Sache mit der Kveik ist, dass sie sehr schnell fermentiert und keinen großen Anschub zur Aktivität braucht. In Hornindal etwa ist es völlig normal, dass das Bier von der Fermentierung nach 48 Stunden ins Fass kommt und man es frisch direkt trinkt – meistens als kleine Party. Ich hab‘ das auch schon gemacht, und da Bier schmeckt wirklich exzellent! Natürlich anders als noch mal zwei Wochen später, aber schon ziemlich gut. Selbst kommerzielle Brauereien in Norwegen haben schon ihr Bier innerhalb von einer Woche nach Einsatz der Hefe auf den Markt gebracht.
Außerdem hat die Hefe eine hohe Alkohol-Toleranz und kann getrocknet werden.

Ich glaube, an dieser Stelle musst Du mal die norwegische Farmhouse Ale Tradition erklären… 😉

Lars Marius: Stimmt, passt jetzt auch ganz gut. Ein Grund, warum die Kveik anders ist als andere Brauhefe liegt in der Art, wie sie genutzt wurde und wird. Historisch gesehen war fast jeder in der Vergangenheit in Nordeuropa Bauer und lebte hauptsächlich vom Getreideanbau. Und wenn man das Getreide geerntet hat, ist der Weg zum Bier nicht weit, man muss nur ein bisschen Extra-Arbeit reinstecken. Überall in Nordeuropa haben die Bauern das gemacht: selbst gemalzt und dann gebraut. Bei uns in Norwegen und auch bei euch in Deutschland. Natürlich mit unglaublich großen Variationen, aber meistens wurde heiß und schnell fermentiert. Also wurde in vielen Orten eigene Brauhefe entwickelt und gehalten, die diesen Braustil unterstützt. West-Norwegen sticht da besonders hervor, einfach weil hier diese Tradition überlebt hat und immer noch praktiziert wird.
Ein Glas Kveik. Foto: Lars Marius Garshol
Ein Glas Kveik. Foto: Lars Marius Garshol
Jetzt muss man West-Norwegen noch mal in Nord und Süd unterscheiden. Im Norden (die Regionen Sunnmøre und Nordfjord, wo auch Hornindal ist) haben die Menschen traditionell die Würze nicht gekocht, sondern dadurch etwas gebraut, was „raw ale“ genannt wird. Dieser Bierstil heißt „kornøl“. Die Biere dieses Stil fermentieren bei etwas niedriger Temperatur, etwa bei 30 Grad Celsius.
Im Süden (Hardanger, Voss und Sogn) kochen die Leute die Würze. Südöstlich, also in Hardanger und Voss, war es üblich, so viel Würze wie möglich vom Maischen zu bekommen. Klar ist zum Ende hin dann wenig Zucker vorhanden, aber hier halfen sich die brauenden Bauer damit, dass sie das Ganze einfach 3 bis 6 Stunden kochten und dabei etwa die Hälfte des Wassers verkochten. Das gab ziemlich starke Biere bei höhertemperierter Fermentation von etwa 37 bis 40 Grad. Heutzutage versucht man in der Regel ja bei einer Stammwürze von 10 bis 12 Prozent rauszukommen.
Aber alle in West-Norwegen nutzten und nutzen auch heute noch beim Brauen Wacholder und nur eher wenig Hopfen – oder gleich ganz viel. Heraus kommen süße, starke Biere, die wenig carbonisiert sind (also so wie traditionelles englisches Cask Ale, um ehrlich zu sein). Voilà: das norwegische Farmhouse Ale!

Die Aufbewahrung scheint ziemlich simpel: Kveik wird seit Jahrhunderten getrocknet, an einem Stock mit Rillen namens kveikstokk. Gibt es noch andere Methoden?

Lars Marius: Ja, die Liste ist enorm lang. Es gibt ziemlich viele Methoden. Alles, mit dem man die Hefe schnell trocknen konnte, aber den Prozess auch nicht verlangsamte, so dass die Hefe hin war. Der kveikstokk – könnte man mit „Hefe-Stock“ oder „Hefe-Ringe“ übersetzen – ist eine sehr gängige Methode in Norwegen (und beruht auf der Erfahrung, als die Leute noch nicht wussten, dass es Hefe gibt, aber dass da was Gutes im Bier ist, das das Bier zu Bier macht. Also steckten sie einen Stock mit Rillen ins Bier, und das, was sich absetzte, wurde fürs nächste Brauen konserviert, Anm. Kerstin Fritzsche. Siehe auch hier in Lars‘ Blog.).
Eine gängige Alternative zum kveikstokk war, einfach einen Ring Stroh zu benutzen. Oder die Hefe auf einem Wacholder-Ast zu trocknen. In Lærdal im Westen trocknete man die Hefe auf Hopfen, manche machen das immer noch. Oder es wurde auf einem Stück Tuch getrocknet. In Ål in Ost-Norwegen, wo eine Brauhefe namens „gong“ genutzt wird, machen sie das immer noch so. Darüber werde ich demnächst auch mal bloggen.
Oft wurde auch auf verschiedenen Ausformungen von Holz getrocknet, auf einem Brett, in einer hölzernen Schale oder einfach in einem Bottich. Und in einigen Orten wird die Hefe nass in einem Topf oder ähnlichem Gefäss gelagert.
Kveik gilt als norwegische Super-Hefe, aber vermutlich gibt es sie nicht nur in Norwegen, wir wissen es einfach (noch) nicht, meint Lars Marius.

Lars Marius: Als das Brauen bei den Bauern so von 1800 an rückläufig war, ging auch das Züchten und Weitergeben von eigenen Hefen in Nordeuropa zurück. Und dann wurde es ja auch möglich, dass abgepackte Hefe zu kaufen war, so mit Beginn der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, was nochmals dafür sorgte, dass die eigenen Hefen weiter ausstarben. Es sieht sogar so aus, als hätten Dänemark, Schweden, Finnland und Estland all ihre Farmhouse-Hefen verloren. In Lettland gibt es noch welche, und eben in Litauen. Auch in Russland gibt es sicherlich vereinzelt noch welche, vermutlich auch in Georgien. Es sieht also so aus, als gäbe es die Kveik nur noch in  Norwegen, und vermutlich haben wir auch immer noch am meisten, aber es kann auch einfach sein, dass hier Suche und Forschung schon weiter fortgeschritten sind als anderswo. Es gibt dazu eine Liste (Achtung, einige der Hefen sind als wilde Hefen ausgezeichnet.).

0 0 votes
Article Rating

Comments

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

error

Enjoy this blog? Please spread the word :)

0
Would love your thoughts, please comment.x