Kraftbierwerkstatt: Gypsy für Rock’n’Roll und ALS-Kranke

Ice Bucket Challenge war gestern – es gibt weitaus langfristigere Projekte, um auf eine der fiesesten Krankheiten dieser Erde aufmerksam zu machen und zu deren Erforschung Geld einzuwerben. Als erste und bisher einzige deutsche Brauerei hilft demnächst die Kraftbierwerkstatt in Böblingen dabei und wird ein Bier für ALS-Kranke brauen. Mit dem Spendenprogramm „Ales for ALS“ des ALS Therapy Development Institute in Cambridge, Massachusetts/USA kann man Gutes trinken und dabei Gutes tun. Das passt zu der baden-württembergischen Gypsy-Brauerei, die auch sonst in der Szene auffällt.

Seit dem Start im Jahr 2012 hat „Ales for ALS“ über 1,25 Millionen US-Dollar an Spendengeldern zur Bekämpfung und Erforschung der Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) gesammelt. Dafür stellen die Hopfenanbauer Loftus Ranches und Hopunion jedes Jahr unentgeltlich eine Hopfenmischung zur Verfügung. Die teilnehmenden Brauereien brauen damit Biere ihrer Wahl, und von jedem verkauften Pint (0,4l) geht mindestens 1 Dollar in die ALS-Forschung.

Freund der Kraftbierwerkstatt betroffen

Logo der Aktion "Ales for ALS".
Logo der Aktion „Ales for ALS“.

Der Stein des Anstoßes für die Teilnahme an dieser Aktion war, dass ein guter Freund, der Stuttgarter Ralph Hermann, Mitte 2017 seine Diagnose über ALS erhalten hatte und noch ein letztes Mal in die USA aufbrach. Beim Roadtrip an der Westküste stieß er bei einer kleinen Craftbier-Brauerei auf die Aktion „Ales for ALS“ und machte die Kraftbierwerkstatt darauf aufmerksam. Schnell war entschieden, dass man daran teilnehmen muss, heißt es in einer Mitteilung der Böblinger. Jetzt im März kam der Hopfen nach Deutschland, und schon bald wird sicherlich das ALS-Ale der Kraftbierwerkstatt bei Bierfestivals und ausgewählten Gastronomen ausgeschenkt.

Eher nonkonform

Olly Koblenzer, Rasmus Muttscheller und Vathana Thorn machen eh, was sie wollen. Motto: Es muss uns passen, und es muss regional passen. Koblenzer macht seit mehr als 20 Jahren Bier, „jetzt ging’s halt endlich mal wirtschaftlich.“ Also „jetzt“ meint damit seit 2014. Dennoch legt er Wert darauf, dass die Kraftbierwerkstatt als Band verstanden wird, die bis jetzt vier Biere der Gypsy Brewer als Rock’n’Roll. Es geben in der Szene nur Rock’n’Roll- oder Grand-Cru-Brauer – und irgendwelche Fasslagerung-Experimente braucht Koblenzer nicht. Noch nicht jedenfalls. Er hängt aber auch nicht am Begriff Craft, „der wird irgendwann verschwinden“, aber das Interesse an Vielfalt werde bleiben, „und darauf kommt es an.“ Das Reinheitsgebot aber bringt ihn auf die Palme, er vertritt Olli Wesselohs Natürlichkeitsgebot.

Anarchie mit Vernunft

Angefangen hat die Bierliebe mit einem Gerstensaft von Kona. Koblenzer war auf Hawaii und verliebte sich in die fruchtigen Aromen. Eine Reise über Russland, Japan, Kanada, wo Koblenzer viele Brauer kennen lernte und auch selbst mit braute, brachte dann den Wunsch, sich selbst auf dem Markt zu versuchen. Als es 2014 dann los ging mit dem professionellen Bier, war schnell klar, dass alle Beteiligten trotz intensiven Überlegens vorher vielleicht ein bisschen naiv gewesen waren. „Wir machen jetzt 350 Hektoliter. Das ist für uns echt viel, das sind wahnsinnig viel Paletten im Lager. Und da reden wir noch nicht über die Logistik mit Umfüllen, Etikettieren, Ausliefern. Wir haben ja auf einer kleinen Anlage bei einem Freund in Neubulach (Landkreis Calw) angefangen. Alles kein Problem bei 500 Flaschen, haben wir gedacht. Aber ziemlich schnell haben wir gemerkt: 500 Flaschen wirste allein im Bekanntenkreis los. Das ist gar nicht viel“, so Koblenzer. „Und dann fängt die Kunst des Brauens an.“ Denn das wirklich Schwere sei ja, eine immergleiche Qualität zu halten. Allerdings seien dann nur zwei Prozent vom Business das Brauen. „Der Schlüssel liegt in der Distribution“, sagt Koblenzer, der schon seit langen Jahren in der Medienbranche arbeitet und da viele Parallelen zur Bierbranche sieht.

Ausgefeiltes Layout und Social Media gehören dazu

Die Kraftbierwerkstatt hat allein ein Jahr überlegt, wie sie es machen soll mit dem Bier, wie das Layout aussehen soll. Dank entsprechendem Equipment im Hintergrund sieht die Werbung auch sehr gut aus. Es werden nur frische Flaschen benutzt, immer. „Wir mögen diese Anschlagränder nicht, das sieht doof aus“, sagt Koblenzer. Ebenfalls imageprägend zeichnete sich aus, dass die Werkstättler von Anfang an direkt drei Sorten zusammen herausbrachten, ein Amber Ale, ein Wheat Ale und den Sud No. 1, ein kaltgehopftes, nicht alltägliches Pale Ale. Tatsächlich war bei vielen Leuten auch außerhalb von Baden-Württemberg wegen der Punk-Anlehnung in der Grafik und der Gleichzeitigkeit das Image „die mit diesen drei Bieren“ da. Inzwischen gibt es noch ein viertes, das Chinook, ein stärker gehopftes Red Ale. Ein fünftes, ein Helles, wird zum nächsten Stuttgarter Craft Beer Festival Ende April eingeführt.

Durch Vathana Thorn ist das Bier inzwischen auch ganz gut in sozialen Netzwerken bekannt. „Neulich hat uns ein Barber-Shop aus dem Ruhrgebiet angeschrieben. Sie fänden unseren Style gut, was wir denn für Bier hätten und ob sie was davon haben könnten, sie denken, es würde gut zu ihnen passen“, erzählt sie. Der Positionierung auf Facebook und Instagram ging eine Medien- und Nutzeranalyse voraus. Trotzdem wolle man sich nicht verbiegen. „Wir müssen keinen Pils-Trinker von unserem Bier überzeugen“, sagt Thorn. Punk eben. Ebenso wenig will die Craft-Band ihr Bier zwischen Tür und Kühlschrank in irgendeinem Getränkemarkt anpreisen. „Wir wollen Kunden, die auch wirklich unser Bier wollen, weil sie einen bestimmten Geschmack wollen.“

Foto: Kraftbierwerkstatt

„Es bringt nichts, nach Mainz auf ’ne Messe zu fahren“

Dennoch sieht das Team den Schlüssel zum Erfolg in der Regionalität. „Es bringt nichts für uns, nach Mainz auf eine Messe zu fahren, denn da kann man unser Bier nicht kaufen“, sagt Koblenzer. Gleichzeitig müsse man vor Ort aber aufpassen, dass das eigene Bier im Vertrieb nicht verschleudert werde. „Wenn hier im Südwesten 2,7 Millionen Hektoliter Bier getrunken werden im Jahr und davon ist ein Prozent Craftbier – das erreichen wir nicht im entferntesten, da langt der Markt dicke für alle hier. Da muss ich nicht nach Berlin. Die Craftbier-Szenen in Berlin und Hamburg sind schon so festgefahren. Und dann zahlen die da unseren Preis nicht. Wir könnten vielleicht den Umsatz verdoppeln oder verdreifachen. Aber ich will das alles mit Spaß machen. Ich will auch keine Angestellten mit Problemen, um die ich mich womöglich auch noch kümmern muss. Ich will mich mit Menschen umgeben, die ich mag und die so ticken wie ich.“ Aber wie hieß es schon bei den „Rolling Stones“? „It’s only Rock’n’Roll but I like it“.

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Eine Antwort zu „Kraftbierwerkstatt: Gypsy für Rock’n’Roll und ALS-Kranke“

  1. […] (beide schon hier auf hopfvollgold porträtiert, nämlich CaSt hier und die Kraftbierwerkstatt hier), gefolgt von der Vogelbräu in Karlsruhe, Max und Moritz vom Bodensee und Decker Bier aus […]

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