Trinken bzw. Trunkenheit ist Kulturgeschichte. Ebenso Kulturgeschichte ist die Fastenzeit. Der „Dry January“ der Hipster ist die lame duck von Anti-Alkoholismus. Not even ein Kompromiss, sondern regelrecht feige.
Seit Jahrhunderten ist bekannt und geschätzt, dass der Mensch sich an Alkohol berauscht. Ursprünglich, weil es kein keimfreies Wasser gab und dünnes Bier die Lösung des europäischen Alltags darstellte. Jetzt nach dem Harald-Juhnke-Motto „Keine Termine und leicht einen sitzen“ als Dauer-Zustand, um Bullshit-Jobs, Wohlstandsverwahrlosung und Co. zu entfliehen. War Alkohol einstmals Mittel der Distinktion, ist jetzt die Frage, ob ich mir das leisten kann von „Ich will mir das leisten“ abgelöst worden. Beim Bier reden wir von Industriebier versus Craftbier. Denn auch, wenn der Konsum während Corona zunächst höher war – die Deutschen trinken immer weniger Bier. Aber wenn, dann gerne qualitativ wertvoll. Ein Recht auf Rausch gibt es nicht, aber es wird angesichts der Sorgen der Welt gerne so interpretiert. Naja, kein Alkohol ist ja schließlich auch keine Lösung.
Knapp vier Wochen ohne ist einfacher als sieben Wochen ohne
Jetzt hat sich in Hipster-Influencer-Deutschland seit ein paar Jahren der sogenannte Dry January etabliert. Nach der Völlerei an Weihnachten und Silvester eine Super-Lösung, um zu fasten, sich bewusster zu ernähren, auf Alkohol zu verzichten und besser zu leben. Oft gepaart mit einem „Vegenuary“.
Aber jetzt mal ehrlich: Wie feige ist das denn? Im ersten Monat des Jahres, der gefühlt eh nicht vier Wochen hat, weil das Jahr ja katholisch gesehen erst mit den Heiligen Drei Königen anfängt und weil mensch sich noch in Urlaub, im Delirium oder im Job-Sortieren befindet, ist total egal, ob Ihr fastet oder nicht. Keine Leistung, unauffällig, easy. Auf Alkohol im Januar zu verzichten heißt: Hey, keine große Beeinträchtigung. Das ist wie beim Trampolin-Springen auf einen Fallschirm verzichten. Und während der größten Karnevals- und Fastnachtsveranstaltungen kann dann trotzdem wieder gesoffen werden – yeah! Zudem sind drei oder vier Wochen kürzer und daher bequemer als die sieben Wochen ohne der „normalen“ Fastenzeit. Steht mensch leichter durch, tut gar nicht weh. Und wo bleibt da die Katharsis? Wo ist das Opfer im christlichen Sinn? Lächerlich, dieser „Dry January“!
Zudem stellen sich viele Brauereien schon darauf ein. Denn das große Geschäft ist Anfang des Jahres ohnehin nicht zu machen. Paar alkoholfreie Biere, alkoholreduzierte Biere, was macht das schon. Auch für die Brauer ist Fastnacht das erste große Geschäft des Jahres, jedenfalls in einigen Bundesländern.
Bleibt noch die Frage nach dem Fitness-Wahn. Instagram auf: lauter Tutorials zu Abnehmen und um sportliche Vorsätze einzuhalten. Healthy lifestyle. Erklärungen zu Dingen und Tätigkeiten, die mensch früher automatisch gemacht hat, etwa weniger Fleisch die Woche über essen oder den ausführlichen Sonntagsspaziergang. Heute verkauft als „Warum mindestens 50 min Spaziergang die Woche gut für dein Gehirn sind“. Instagram zu: Wenn Ihr regelmäßig überhaupt Sport macht, Euch auch sonst mal bewegt und an 2-3 Tagen in der Woche keinen Alkohol trinkt, ist alles in Ordnung.
Und hier tobt auch kein Kampf von Katholik:innen gegen Protestant:innen, wie taz-Autorin Doris Akrap letztens behauptete. Wer den „Dry January“ machen will: bitte. Der soll dann aber später nicht auf Vergebung der Sünden machen oder sein selbstgewähltes Verzichtsgebot irgendwie programmatisieren, womöglich noch auf Instagram. Fastenzeit ist ehrlicher – und hat übrigens auch für Protestant:innen eine Bedeutung. Nicht nur Influencer-mäßig für sich selbst, sondern auch für die Gemeinschaft. Verzicht macht bewusst für die permanenten Verzichte anderer Gesellschaften, sei es durch Armut oder Krieg. Nicht zuletzt macht die Aktion „Sieben Wochen ohne“ darauf aufmerksam. Weiten wir unseren Horizont. Für uns, für andere. Anti-Rausch muss weh tun. Wer ist denn schon im Januar für uns gestorben? Kopfschmerzen? Das Fitnessstudio-Abo?
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