Wieder mehr als eine Woche in der Internet-Welt des Bieres. Während die Mega-Fusion von Anheuser-Busch Inbev mit SAB Miller immer noch mit Sorge betrachtet wird, hilft Anheuser-Busch den Menschen in Haiti nach Hurricane Matthew und lässt Wasser in die Katastrophenregion bringen, 450.000 Dosen. Menschlichkeit oder Image-Aktion? 2010 hat der weltgrößte Brauer das auch schon getan. Hurricane Matthew soll der schlimmste Wirbelsturm seit zehn Jahren sein.
Am Dientag veröffentlichte die stellvertretende Online-Chefin der Berliner „Morgenpost“ Nina Paulsen ihr „Plädoyer für Bier mit Biergeschmack„. Die Kolumne „Warum der Craft-Beer-Hype in Berlin so nervig ist“ schlug hohe Wellen, vor allem auf Facebook in Craftbier-Gruppen. Paulsen vergleicht die Zunahme von „Craft-Beer-Klitschen“ in den Szene-Vierteln mit der Invasion von Starbuck’s und der Einfachheit von Kaffee („das Standardprodukt war eigentlich immer perfekt“), fragt sich, warum jeder jetzt sein eigenes Bier brauen und teuer verkaufen muss, beklagt, dass es bei einem familienfreundlichen Food Market mehr Craftbier als Essensmöglichkeiten gäbe, argumentiert mit zurückgehendem Bier-Konsum („früher war eben doch alles besser“) und behauptet, dass Craftbier kein Genuss- oder Nahrungsmittel ist, sondern „ein Style“. „Bier war immer ein ehrliches Getränk. Bodenständig, simpel. Hopfen, Malz, Hefe, Wasser, Punkt. Ein Genuss für Manager und Arbeiter, für Studenten und Senioren. Selbst für Berliner Hipster. Zum Essen, zum Fußball, als das legendäre Wegbier der Tram. Jetzt wird es als Craft Beer plötzlich von Sommeliers verkostet wie teurer Wein und dementsprechend umschwafelt. (…) Das passt mit dem Ausgangsprodukt einfach nicht zusammen. Die Frage ist ja, ob man sich in Berlin irgendwann noch mit einem einfachen Bier von der Stange blicken lassen kann. Mit einem Bier, das halt schmeckt.“
Ich muss, glaube ich, hier nicht erörtern, warum sich Paulsen den Unmut der (Craft-)Bier-Liebhaber zuzog. Mal abgesehen davon, dass eine Kolumne eine journalistische Stilform sein soll, die witzig ist – und Frau Paulsens Text ist nicht annährend ironisch. Alle ihre Argumente können sofort widerlegt werden – die vermeintlichen Fakten, die ins Feld geführt werden, sind außerdem falsch. Denn beim Kaffee ist das Standardprodukt nicht per se immer gut gewesen, ist es teils immer noch nicht, aber vielleicht war Paulsen noch nie in Nordamerika. Starbuck’s ist eine Kette, deren Produkte immer gleich sind, die genannten „Craftbier-Klitschen“ sind aber alle individuell. Natürlich hat Craftbier auch „Biergeschmack“ und muss nicht immer nach Kirsche oder Orange schmecken. Und nein, diese Biere sind nicht neu, aber das weiß man natürlich nicht, wenn man sich nicht mit der Geschichte von Ale und belgischem Bier beispielsweise befasst hat. Oder mal der Frage nachgegangen wäre, wie Bier eigentlich vor Entdeckung des Hopfens geschmeckt hat – Geschmacksvielfalt war schon immer, Frau Paulsen.
Immerhin „darf jeder mit seinem Craftbier glücklich werden“, so lange die anderen Sorten bleiben und Berlin nicht mit den neuen Läden zugepflastert werde. Kein Angst, natürlich bleiben die alten Marken, das Industrie-Bier. Das ist aber doch gar nicht der Punkt. Was Frau Paulsen vor allem stört, ist der Preis. Und da ist sie in bester Gesellschaft mit ihrer als Kolumne getarnten Kritik, denn zur Berliner Bierwoche hat ein Kollege von ihr von der Berliner Zeitung in dasselbe Horn gestoßen. Kolleg_innen, ihr werdet nicht gezwungen, jetzt zu Stone zu gehen und euch Bier für 4,50 Euro zu kaufen. Aber freut euch doch, dass mehr Leute sich wieder für Genuss und Geschmacksvielfalt interessieren. Denn mal auf demselben Niveau zurückgefragt: Ein Sterni in der Tram – das ist doch auch nicht wirklich cool!
Alle Paulsen-Kritiker im Netz haben ja recht. Aber ein Problem gab es dann damit doch: Wie fundiert und sachlich die Kritik ist. Bier ist ja nach wie vor eine Männer-Domäne, auch wenn es inzwischen unter den Hobbybrauern immer mehr Frauen gibt und auch Bier-Sommelières und Frauen wie mich, die über Bier schreiben. Und dann ist da noch das grundsätzliche Problem mit Online-Kommentaren und Streit-Kultur im Internet, bei der Männer gern mal dominanter auftreten oder einfach immer das letzte Wort und vor allem die Deutungshoheit über Dinge und Geschehnisse haben müssen. Und so gab es auch auf Facebook leider als Reaktion auf den Text Beschimpfungen, Diffamierungen, sprachliche Ausfälle. Weil Nina Paulsen keine Ahnung hat, ist sie die „Trulla“ – und das war noch eine der netteren Bezeichnungen. Noch dazu wird sie als Onlinerin nicht ernst genommen, würde sie nur für Print schreiben, hätte das bei vielen auch gleich einen höheren Stellenwert – was natürlich Quatsch ist. Oder: Die ist ja noch jung, das ist voll naiv. Auch Quatsch: Die Frau ist Mitte 30. Bei Männern im Journalismus oder Männer-Trollen hinterfragt auch keiner das Alter. Das muss doch alles nicht sein. Bier ist doch kein Männer-Frauen-Ding. Sollte es nicht sein. Sondern eine Frage des Geschmacks. Dann wird es doch wohl auch möglich sein, da vernünftig und sachlich drüber zu diskutieren. Und wenn dann bitte mit demjenigen und nicht über ihn. Ich habe Nina Paulsen angeschrieben und sie gefragt, ob sie mit mir über die Angriffe aufgrund der Kolumne reden möchte. Will sie leider nicht. Aber ich hab’s wenigstens versucht.
Was war sonst noch? Auf „Zeit Online“ gibt es eine schöne Reportage über die Veränderungen in der Hallertau bzw. das Örtchen Tegernbach. Sylt hat jetzt auch ein Craftbier-Festival. Aus Münster kommt mit Finne ein neues Bio Craft Beer. Schön die Legende der Macher zum Bier: Bei einer Reise durch Nordamerika wurden sie im Surfer-Örtchen Tofino auf Vancouver Island vom Craftbier gepackt, weil es da eine tolle kleine Brauerei gab. Tofino ist übrigens der nördlichste Punkt Kanadas, dahinter ist nur Meer, und auch deswegen eine Reise wert, weil man sich hier von den ehemaligen Einwohnern der Region auch Wale und Bären und Seeadler in den Schären ähnlichen Insellandschaften drumherum zeigen lassen kann. Sachsen holt auf in Sachen Craftbier, jetzt kommt das „Club IPA“.
Wer sagt denn, dass nur Bierbrauer untereinander kooperieren können? In Bayreuh hat Maisel & Friends bereits ein Bier zusammen mit der in der Region bekannten Band „Troglauer Buam“ gebraut, jetzt machte Oli Wesseloh von der Kehrwieder Kreativbrauerei in Hamburg eines zusammen mit dem Maler, Fotografen, Holzbauer und Zeichner Jörg Heikhaus, besser bekannt als Alex Diamond: „The dirty hands of Alex Diamond“, ein smoked Porter. Macht euch die Hände dreckig!
Und dann noch zum Abschluss was Nettes für alle Franken in einem Interview über deutsche Bierkultur: „Die Brauanlagen, auf denen in den USA gebraut wird, kommen alle aus Deutschland. Nur: Dort haben sie das Bier weiterentwickelt, während wir uns auf dem Reinheitsgebot ausgeruht haben, das ist das Fatale. Der einzige Lichtblick sind die Franken, denn dort wird noch richtig gebraut und nicht nur ein paar Knöpfchen gedrückt.“ Sagt der Bonner Getränkehändler Thomas Görtz. Wie nett! Und freilich wahr.