Wenn man jemanden schlau oder gewitzt findet, sagt man allgemeinhin „Du Fuchs!“, in Baden-Württemberg „Du bischd a Käpsele!“. In Nürtingen-Zizishausen kommen schwäbische Käpsele wie gemeine Füchse voll auf ihre Kosten. Vor allem die Bier-Füchse unter ihnen. Denn dort hat Santiago Javier Ramírez Aguilar im Oktober 2017 sein Bierwerk Gerstenfux aufgemacht.
Inzwischen sind die Biere mit dem markanten Fuchs auf dem Logo von Björn Geissler teilweise auch schon über den Stuttgarter Raum hinaus bekannt.
Angefangen hat bei dem 36-jährigen Santiago alles vor etwas über zehn Jahren. Da startete er als Hobbybrauer. „Ich hatte als Jugendlicher schon eine Affinität für dunkles Bier. Und ich mag bayerische Biere“, erklärt der gebürtige Mexikaner. Ein Schlüsselerlebnis war der Besuch in München bei Augustiner. Das dunkle Bier dort fand er so toll, dass er sich sagte: „So ein Bier will ich auch mal brauen!“ Gedacht, gesagt – aber wie getan? Damals lebte Santiago noch in Berlin und war als Biologe bei einem großen Unternehmen angestellt. Plötzlich war die Sache mit dem Bierbrauen konkreter. „Meine Experimente vor allem mit Märzen sollten nicht nur Experimente in meiner Küche für mich und meine Freunde bleiben“, erklärt Santiago. Also sah er sich nach Praktika um. Bei Brewbaker, also bei Michael Schwab in Moabit, wurde er fündig. „Vor allem von der technischen Seite her hatte ich viel zu lernen.“ Und nachdem er wegen Personalkürzung gekündigt wurde, war klar: Mit der Abfindung wird eine eigene Brauerei aufgebaut.
In Stuttgart hängen geblieben
Dieser Schritt fand dann aber in Stuttgart statt. Also wieder Stuttgart. Denn hierher war Santiago das erste Mal mit 19 Jahren als Student aus Mexiko-Stadt zum Studieren gekommen. Hier lernte er seine Frau kennen – und blieb. In der Stadt, die in Sachen Immobilienknappheit und hoher Mieten direkt hinter München kommt, fand Santiago zunächst keinen geeigneten Standort für den Gerstenfux. Deswegen musste er ins Stuttgarter Umland ausweichen. Mit Nürtingen-Zizishausen im Kreis Esslingen ist er aber sehr zufrieden. Die Brauerei ist in den Räumlichkeiten einer alten Gaststätte mitten im Ort. So kann Santiago hinten brauen und hat vorne sogar noch einen Gastraum mit 46 Plätzen, den er alle zwei Wochen samstags öffnet. Schwierig war nur, die Kessel und Tanks hinein zu bekommen. Denn die passten nicht durch die Tür.
Kurzerhand wurden seitlich Fenster ausgebaut und hinten zum Brauraum Tür und Zarge verbreitert. Jetzt hat Santiago da fünf Kessel à 1.000 Liter stehen. 1.000 Liter pro Woche produziert er, würde sich aber gerne steigern. Gerade ist er dazu mit Super- und Getränkemärkten im Gespräch. Einziger Nachteil: Weil er das Sudhaus aus den USA importiert hat, werden die Temperaturen in Fahrenheit angezeigt. „Man gewöhnt sich dran, dass man da immer umrechnen muss“, sagt Santiago.
Flammkuchenteig aus dem eigenem Treber
Zu essen gibt es im Gasthaus auch etwas: Flammkuchen. Der wird aus regionalen Produkten hergestellt und hat als Besonderheit den eigenen Treber mit im Teig. Denn ein Bäcker in der Nähe nutzt den Gerstenfux-Treber gerne, auch fürs eigene Brotbacken.
Überhaupt ist Santiago Regionalität wichtig, auch bei seinen Bieren. Er bestellt alles regional, sofern es geht. Das andere ist gute Nachbarschaft. Zizishausen ist klein, generell ist es hier im Vorland der Schwäbischen Alb schnell sehr ländlich. Die Menschen hier sind sehr mit sich selbst beschäftigt und daher vielleicht in gewissen Dingen etwas zurückhaltend. Zum Gerstenfux kommen sie trotzdem, Gaststätte ist Gaststätte. Auch mit den Vereinen hat Santiago einen guten Kontakt. Im Winter 2017/18 braute er auf Anfrage ein Winterbier, das dann bei Vereinsfesten im Advent ausgeschenkt wurde. Und weil es so gut ankam, braute er es das Jahr danach gleich wieder ein.
Auch Santiagos drei ständige Biere, das Märzen „Aufbruch“, das IPA „Bitterfrucht“ und das helle Lager „Leuchtkraut“ funktionieren gut. Aber schon beim saisonalen Bier wird’s schwierig. Kürbisbier? Mit Ingwer und Kardamom? Hier musste das Gastro-Personal noch echte Überzeugungsarbeit leisten. „Aber einmal probiert, haben es die meisten Leute auch richtig gemocht“, sagt Santiago stolz. Mag aber vielleicht auch daran liegen, dass sein Pumpkin Ale nicht so mächtig und süß oder mit fettem Gewürz-Geschmack daher kam wie man das allgemein nach amerikanischem Vorbild gewohnt ist.
Saison-Bier mit Bergamotte
Extreme Biere mag Santiago selbst nicht. „Da muss ich mir nichts beweisen. Ich glaube, die Kunst ist eher, andere Biere zu brauen“, sagt er, und damit meint der 36-Jährige: gerne mit exotischeren Zutaten, aber im Endergebnis eben trotzdem nicht völlig fremd für den eigenen und den schwäbischen Gaumen. In Stuttgarter Kneipen, wo seine Biere inzwischen auch verkauft werden, kommen die „anderen Biere“ hingegen fast besser an. Der heimliche Star ist die „Bergmotte“, ein erfrischend fruchtig-herbes Saison mit Bergamotte. Hier sorgt die Kalthopfung nach der Vergärung mit den Fruchtschalen für eine besonders lebhafte Rezenz. Für alle seine untergärigen Biere nutzt Santiago dieselbe bayerische Hefe. Und man mag sich daraufhin einbilden, dass die Gerstenfux-Biere alle tatsächlich ein ähnliches Geschmacksprofil haben.

Respekt vorm Brauvorgang
Zwar mag Santiago als Biologe im Vorteil sein, was mit seinem Wissen über Enzyme und deren Wirkung den Brauvorgang betrifft. Dennoch hat der ungelernte Brauer immer noch gehörig Respekt vor dem Teil des Prozesses, der einfach unsteuerbar bleibt. „Du hast eine Idee und eine Vorstellung vom Bier, kannst dir ziemlich viel ausmalen und ausrechnen, und doch kann es ganz anders laufen“, sagt er. Nicht zuletzt floß dieses Unbekannte auch in den Namen mit ein: „Bier kann listig sein. In der Herstellung als auch hinterher, wenn du den Alkoholgehalt falsch einschätzt, weil das Bier eigentlich recht normal schmeckt“, sagt er grinsend. Aber genau diese gewitzte Fuchsigkeit kommt beim Schwaben gut an, oder anders gesagt: Man kriegt ja dann auch mehr für sein Geld. Scho a Käpsele, dieser Mexikaner.
Aber eine Sache fuchst Santiago dann schon: Gemäß seiner Heimat Mexiko würde er gerne auch mal ein Mais-Bier brauen. Aber dazu braucht es den perfekten Mais – und die Möglichkeit, ihn anzubauen. Am liebsten wäre ihm schwarzer. Klar – das ergibt ja dann auch ein dunkles Bier.
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