David Hertl: „Wir hinken mit der Vielfalt hinterher“

Bedrohen die neuen Kreativbiere die traditionelle Bierkultur in Oberfranken? Deutschlands derzeit jüngster Brauer David Hertl über Vielfalt, Genuß-Trinken und warum wir die Italiener im Blick haben sollten.

Die Bierothek aus Bamberg will expandieren, deine Mikro-Brauerei wird erweitert, Maisel in Bayreuth baut ein Brauhaus nur für Craftbier, es gibt zahlreiche Blogs, Bier-Bars, Verkostungen… Wie erklärst du dir den Craftbier-Boom?

David Hertl: Der Ursprung des weltweiten Craftbier-Booms ist ja, dass es von der Industrie nur 2, 3 Biere auf dem Markt gibt. Die schmecken alle gleich. Der Kunde lechzt also im wahrsten Sinne des Wortes nach anderem, nach Vielfalt. Das nahm 1980 in den USA seinen Anfang, als drei Großbrauereien die Platzhirsche auf dem Markt waren. Viele haben dann angefangen, selbst zu brauen. Und diese Garagen-Brauereien sind jetzt Millionen-Konzerne. Die gehen extrem auf Geschmack und bewegen da ganz was anderes. 1980 ist fast jeden Tag eine Brauerei entstanden. Da ist eine Kultur aufgekommen aus dem Nichts – eine experimentierfreudige Bierkultur mit Menschen, die auch beispielsweise anders ans Marketing herangegangen sind als ausgebildete Braumeister bis dato.

Aber es hat ja dann trotzdem sehr lange gedauert, bis diese neue Bierkultur herübergeschwappt ist nach Europa.

Ja, das hat extrem lang gedauert, eben weil in Europa viele Länder, vor allem Deutschland, Belgien und Großbritannien, schon immer eine ausgeprägte Bierkultur hatten. Bei anderen europäische Ländern wiederum hat es schon eingeschlagen. Italien zum Beispiel, das uns Oberfranken meiner Meinung nach in sechs Jahren den Rang ablaufen wird mit der größten Brauerei-Dichte der Welt. Die machen nicht mehr Wein, die brauen Bier. Und die Italiener haben sehr viele, sehr feine Gewürze, arbeiten sehr intensiv abseits des Reinheitsgebots. Viele Winzer switchen auch um auf Bier. Also das, was bei mir im ganz Kleinen passiert ist, dass mein Vater Winzer ist und ich jetzt Bier braue, das ist da schon jetzt selbstverständlich. Im Grunde ist es auch egal, ob man Wein macht oder Bier; bis auf ein paar Schritte ist das ganz ähnlich in der Herstellung. Da entstehen gerade sehr spannende Sachen, bei den sogenannten Wein-Bier-Hybriden, mit denen ich auch experimentiere. Das ist total verrückt: Auch fränkische Winzer haben da bei mir Interesse angemeldet für eine Zusammenarbeit und wollten zur Weinlese unbedingt ein Wein-Bier-Hybrid anbieten.

Du hast es schon grad gesagt, in Oberfranken gibt es die höchste Brauerei-Dichte der Welt, also eigentlich schon immer Vielfalt. Hat es Craftbier da nicht besonders schwer hier?

Man muss unterscheiden: Das eine sind Biere zum Trinken, wo ich einfach 2, 3 hintereinander wegkippen kann, sozusagen. Und darauf sind die oberfränkischen Biere extrem angelegt, auf sogenannte Drinkability. Das andere sind Biere zum Genießen. Insofern ist das auch nicht Konkurrenz, sondern Craftbier ist eher eine Erweiterung. Dadurch erschließen sich Brauereien vermutlich auch ein anderes Publikum, weil sie eher dem Wein Konkurrenz machen und nicht dem Bier. Das Drumherum ist ja auch ganz anders. Von der geschmacklichen Komplexität passen die Craftbiere ja gar nicht in einen Maßkrug, da braucht es spezielle Gläser, damit die sich entsprechend entfalten können. Einen schweren Rotwein trinke ich auch nicht aus einem einfachen Glas und schon gar nicht in Maßkrug-Menge.

Müsste deiner Meinung nach dafür das Reinheitsgebot fallen, oder gibt es genug Spielraum zum Experimentieren?

Das deutsche Reinheitsgebot gibt den Großkonzernen Spielraum, damit sie Hilfsmittel draufklatschen dürfen oder eben zwei Jahre Haltbarkeit drin sind, obwohl es am Ende dann in keinster Weise so schmeckt wie bei der Abfüllung und ich sogar Plastik drin finde. Das hält die Industrie mit ihren Lobbyisten hoch. Aber auch 1516 und noch Anfang des 18. Jahrhunderts hat das keine Rolle gespielt. 1950 etwa ist das erstmals aufgekommen, durch einen bayerischen Landtagsabgeordneten. Anlass war damals, dass man Angst hatte, dass englisches Bier den deutschen Markt überschwemmt, weil das von der Qualität her einfach besser war. Das war damals eine Blockadepolitik gegen Import fremden Bieres. Vorher hat es gar keine Rolle gespielt.

Nächstes Jahr feiern wir 500 Jahre Reinheitsgebot. Ich gehe davon aus, dass es früher oder später eh abgeschafft wird, denn im europäischen Wettbewerb schränkt es die Brauer einfach ein und ist nicht gerecht.

Es wurde ja auch deswegen geschaffen, damit der Weizen zum Brotbacken nicht angetastet wird.

Ganz genau! Und dann hat die Regierung das instrumentalisiert. Damit wurde das Monopol auf Weizenbier gesichert und sehr gut Geld verdient. Schon 1516 ging es zu 90 Prozent um die Besteuerung, nicht um die Inhaltsstoffe von Bier Damit man den Wirt bestrafen konnte, wenn er keine Abgaben leistet.

Wenn das Reinheitsgebot jetzt aber komplett gekippt wird, dann wäre das schlecht für beide Seiten, denn dann sind auch Chemie-Zusätze erlaubt. Beide Seiten, die Industriebrauer und die kleinen Brauer, müssten sich einigen. Wie in Österreich, das ist mein Parade-Beispiel. Da dürfen in den Bieren nur die vier Grund-Inhaltsstoffe drin sein. Also es gibt für den breiten Markt weiterhin ein Reinheitsgebot. Aber dann gibt es auch die Kreativbiere. Da darf alles drin sein, aber es muss natürlichen Ursprungs sein. So weiß der Konsument, was er kriegt, und der Brauer kann es entsprechend anders vermarkten. So eine Lösung würde ich mir für Deutschland auch wünschen.

Wir hinken ja mit der Vielfalt gerade sehr, sehr hinterher. Das geht ja so weit, dass wir alte Biere, also traditionelle, wiederentdeckte Bierstile, gar nicht beim European Beer Star Award oder anderen internationalen Wettbewerben einreichen dürfen. Ich könnte das beste belgische Wit mit Orange hier in Bayern brauen. Aber weil ich Deutscher bin, darf ich es beim Beer Star Award nicht einreichen. Wär ich in Tschechien, ginge es. Das ist nur pure Ideologie dahinter. Und konsumentenfeindlich ist es obendrein. In Deutschland mit seiner ausgeprägten Bierkultur ist es also aus verschiedenen Gründen schwieriger, die Leute an die neuen Kreativbiere heranzuführen. Aber es passiert – nur eben langsam.

 

Zur Person: David Hertl

David Hertl ist 25 Jahre alt und stammt aus einer Winzer-Familie. In Schlüsselfeld betreibt er seit etwas mehr als einem Jahr unter dem Namen „Hertl“ Frankens kleinste Brauerei, die mit Kreativbieren und hier speziell mit Wein-Bier-Hybriden experimentiert. Außerdem ist er der bierige Kopf hinter dem jungen Bamberger Unternehmen, das die Brauerei St. Erhard und unter dem Namen „Bierothek“ drei Craftbier-Shops in Bamberg, Erlangen und Nürnberg betreibt. Hertl war sowohl beim Brauen als auch beim Entwickeln der Shops von Anfang an dabei und ist außerdem der Store Manager der Bierothek Bamberg. Das Unternehmen sammelt gerade Geld per Crowdfunding, damit im Frühjahr 2016 weitere Filialen in Frankfurt und Stuttgart eröffnet werden und für das Unternehmensgeflecht der findigen Bamberger eine GmbH gegründet werden kann.

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