Bierkultur: „Berauschend“ im Landesmuseum Württemberg

Seit vergangener Woche gibt es eine neue Sonderausstellung im Landesmuseum Württemberg in Stuttgart. „Berauschend“ widmet sich der gesellschaftlichen Trinkkultur, genauer gesagt „10.000 Jahren Bier und Wein“. Und stellt auch die Gefahren von Alkohol umfassend dar.

Alkohol wurde schon immer getrunken, vor allem in Gesellschaft. Vergorenes Getreide, der Vorläufer von Bier, oder, nachdem die Wirkung von vergorenen Trauben bekannt wurde, Wein – vor allem. Im alten Ägypten wurden die Pyramiden-Bauer mit Bier bezahlt und stärkten sich damit. Die keltische cervesia wurde kräftig gehandelt und Verstorbenen mit ins Jenseits als Grabgabe gegeben. In Griechenland wurde das Trinkgelage erfunden, aber es hieß großtrabend „Symposium“ und wahrte nach außen den Schein einer Philosophen-Veranstaltung (übrigens ziemlich interessant, das mal zu übertragen auf die Symposien in der Wissenschaft heutzutage, aber ich will nicht abschweifen). Bier als Nahrungsmittel war bis vor ein, zwei Jahrzehnten in vielen Berufen noch anerkannt. Ich kann mich daran erinnern, dass in dem Verlagshaus, in dem ich meine journalistische Laufbahn begann, in den Getränke-Automaten für die Drucker immer reichlich Bier vorrätig war. Das Bauarbeiter-Bier ist zwar ein Klischee, aber ein nicht zuletzt durch Auftraggeber und Baufirmen-Inhaber gut gepflegtes, weil die den berühmten Kasten Bier halt tatsächlich auch hinstellen.

Im Mittelalter und noch danach konnte überall in Europa und anderen Teilen der Welt praktisch jahrhundertelang kein Wasser getrunken werden. Denn Wasser war verkeimt und löste Krankheiten oder sogar den Tod aus. Bier war ungefährlich – jedenfalls so lange niemand komische Kräuter mit in den Braukessel warf.

Was zu dem auch erst relativ spät entdeckten Fakt führt, dass Frauen vorrangig brauten. Und zwar nicht nur in Europa seit der Neuzeit. Sondern schon bei den Sumerern (heutiges Gebiet des Irak), so zeigt „Berauschend“, haben Frauen das Bier gemacht und Kneipen betrieben. Brauen meinte da allerdings so eine Art Instant-Verfahren, in dem Gerstenmalz, Emmerschrot und zerkleinertes Sauerteig-Brot zusammengeschmissen wurden. Interessant fand ich: Bereits auf den ältesten Schrifttafeln in dem Gebiet, also ca. 3.200 v. Chr., wurden Gerste, Malz und Bier mit eigenen Symbolen dargestellt.

Hopfen ist ja erst seit dem 13. Jahrhundert bekannt, und die Rolle der Hefe war noch sehr viel länger unbekannt, weswegen ja auch das Reinheitsgebot diese nicht auflistet. Ich freue mich, dass die Ausstellung nicht diesen leider alltäglichen Fehler macht und von „Hopfen plus Malz plus Wasser plus Hefe“ spricht, wenn es um 1516 oder überhaupt die bayerischen Bierverordnungen geht. Sogar beim Dt. Brauer-Bund steht es nämlich falsch.

Ältestes Bier Europas aus Württemberg?

In Baden-Württemberg ist Bier seit dem 4. Jahrtausend vor Christus bekannt. Wobei dieser Fakt erst seit Mai 2020 bekannt ist, weil Forscher entsprechende Trinkreste in alten Gefäßen am Bodensee gefunden haben, genauer in Hornstaad-Hörnle bei den alten Pfahlbau-Siedlungen. Diese Gerstenmaische-Mische könnte das älteste Bier Europas sein – womit wir in Württemberg sogar noch den Kelten den Rang ablaufen würden. Sensationell! Und natürlich Teil der Ausstellung.

Wein hingegen wurde entlang des Neckars erst ab dem 11. Jahrhundert angebaut. Die Klöster waren hier die Pioniere. Jetzt ist das Weinland Württemberg viertgrößtes Anbaugebiet in Deutschland. Mit ganz eigenen Problemen, die allerdings global entstanden sind. Die Ausstellung thematisiert daher auch die Veränderungen im Weinbau durch den Klimawandel und lässt Winzer-Familien erzählen. Ich will ja keine Horror-Szenarien malen, aber: Der beste Riesling wird sicherlich in der Zukunft in Skandinavien angebaut werden. Resistenter ist da unser Trollinger aufgestellt, aber selbst dem wird es hier und da jetzt schon zu warm in den heimischen Gefilden, was bedeutet: weniger Ertrag. Freuen dürfen wir uns daher wohl eher auf württembergische Merlots und Cabernets. Oder halt Cuvées, meinen einige Wengerter. Mit den veränderten Bedingungen für Braugerste durch den Klimawandel beschäftigt sich übrigens schon seit längerem die Universität Hohenheim.

Ein Springbrunnen mit Wein

Ein großer Teil der Ausstellung ist Trinkgefäßen und Festen – also der gesellschaftlichen Bedeutung von Bier und Wein – gewidmet, natürlich mit Württemberg-Schwerpunkt. Habt Ihr gewusst, dass es im Alten Schloss am Hofe Trink-Spiele gab, mit extra Gefäßen dafür? Dass Graf Ulrich zu seiner Hochzeit Wein aus einem Springbrunnen, also gleich acht Brunnenröhren, fließen ließ?

Das passende Glas zum Bier ist ja heute auch wichtig, aber eher aus Genuss-Gründen, damit die Form den besten Geschmack unterstützt. Gut, ästhetisch soll es auch was hermachen; der gute, alte Willy-Becher hat weitestgehend ausgedient. Trotzdem konnte ich angesichts des glitzernden Schiffchens, das einst rollend Wein über die Festtafel transportierte oder so mancher filigraner Glas- und Ziselier-Kunst mit Gold und Co. nur ungläubig staunen. DAS wäre mir too much auf meinem Tisch. Andererseits wäre so mancher verzierter Glasbecher aus dem Hause Württemberg schon auch ein geiles Pint-Glas.

Ich beim Hebe-Selbstversuch. Wäre damals wohl verdurstet.
Ich beim Hebe-Selbstversuch. Wäre damals wohl verdurstet.

Mal einen heben ist gar nicht so einfach

Ausdruck von Macht und Reichtum also. Wer kann, der kann. Und der will es auch zeigen. Eines der größten Trinkgefäße weltweit dürfte das 2.500 Jahre alte Horn eines Keltenfürsten sein. Da passen 5,5 Liter rein, voll hat das Ding also ein Gewicht von fast 7 Kilogramm! Im Selbstversuch darf in der Ausstellung das Horn gehoben werden – natürlich nicht das Original und natürlich nicht ohne Schutzvorkehrung. Allerdings dürfte der Keltenfürst damals kaum alleine daraus getrunken haben, es wurde bestimmt mit mindestens zwei Mann assistiert. Weil: Wer kann, der kann. Ob er die 5,5 Liter täglich aber auch vertragen hat, dazu gibt es wohl keine Überlieferungen.

 

 

Corona änderte das Trinkverhalten

Eine ganze Badewanne voll säuft jede*r im Jahr.
Eine ganze Badewanne voll säuft jede*r im Jahr.

Auch der Rausch in der Pandemie ist Thema in der Ausstellung. Denn Corona veränderte das Trinkverhalten: Jede:r Dritte trank mehr, jede:r Vierte früher am Tag. Dennoch wurden 2020 508, 2 Millionen Liter Bier weniger abgesetzt, das entspricht knapp 51 Mio. Bierkisten. Wir wissen ja: Der Bier-Konsum in Deutschland ist seit Jahren rückläufig. Während der Pandemie griffen aber vermutlich mehr Menschen direkt oder öfters zu härteren Alkoholika als Bier. „Daydrinking“ wurde gesellschaftsfähig. Mensch hatte ja eh nix zu tun, war bei Kurzarbeit zu Hause, im Home Office oder eben von allen gewohnten Freizeitaktivitäten abgeschnitten.

Baden-Württemberger*innen trinken den meisten Wein

Zum Vergleich: Laut der Ausstellung liegen wir Deutschen beim Pro-Kopf-Konsum von Bier mit 102 Litern pro Einwohner*in im Jahr auf Platz 3 hinter Tschechien (141 Liter) und knapp hinter Österreich (107 Liter). Insgesamt an alkoholischen Getränken liegt der Pro-Kopf-Konsum bei 131, 3 Litern. Gott sei Dank trinken wir immer noch mehr Wasser (151,6 l), Säfte und Erfrischungsgetränke (155,1 l), aber am liebsten trinken wir Heißgetränke, wobei der Anteil von Kaffee sehr viel höher sein dürfte als von Tee: 230,1 l. 28 Flaschen Wein öffnet jede*r im Schnitt pro Jahr. Und wen wundert’s: Baden-Württemberg hat den höchsten Pro-Kopf-Konsum von Wein, nämlich 26,3 Liter. Der Bundesdurchschnitt liegt bei rund 21 Litern.

Interaktive Station ermöglicht Selbsteinschätzung

Viel? Ja, das ist viel Wein – und Alkohol insgesamt, wenn mensch die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation betrachtet und sich durchliest, welche Langzeitwirkung Alkohol auf den Organismus hat. Das eigene Trinkverhalten einschätzen kann mensch bei einer interaktiven Station in der Ausstellung. Harte Erkenntnis für mich: Schon ein halber Liter Bier an einem Tag ist für Frauen zu viel. Laut Bundesgesundheitsministerium liegt bei 9 Millionen Deutschen zwischen 18 und 64 Jahren ein problematischer Alkoholkonsum vor, bei weiteren 7,9 Millionen ein riskanter Konsum.

Auf diese Aspekte geht „Berauschend“ in großem Maße ein. Eben weil Alkoholkonsum gesellschaftlich eher positiv, vor allem aber unproblematisch gesehen wird, versucht die Ausstellung hier viel Aufklärung. Klar, keine*r von uns würde frei raus sagen, logo, Alkohol ist eine Droge. Was ist schon einzuwenden gegen das Glas Bier am Abend, v.a., wenn es ständig so viele neue Biere zu entdecken gibt? Dann würde sich ja auch „hopf voll gold“ überflüssig machen. Jedoch will die Ausstellung Alkohol auch nicht verteufeln. Denn Bier- und Weinkultur sind untrennbar vor allem mit Baden-Württemberg verbunden. Ein Erbe, das sich nicht negieren lässt, das sicherlich auch niemand negieren will. Aber achtsamer mit Alkohol umgehen, maßvoll trinken – das kann jede*r tun und damit der Gesundheit und sich etwas Gutes tun. Dann ist die Wertschätzung für Wein und Bier und wie die Getränke entstehen vielleicht auch wieder höher. Die tolle, neue Hopfenkaltschale bringt mir nichts, wenn es kein Genuss ist. „Das Bier schafft uns Genuss, die Bücher nur Verdruss“, wie Goethe das mal gesagt bzw. geschrieben haben soll, kann sich halt auch leicht mal umkehren. Mir persönlich ist gute Literatur ja genauso wichtig wie gutes Bier. 😉

 

Sonderedition der "Berauschend"-Ausstellung
Sonderedition der „Berauschend“-Ausstellung

Die Ausstellung: „Berauschend. 10.000 Jahre Bier und Wein“ ist noch bis zum 30. April 2023 im Alten Schloss zu sehen und zu erleben. Und es gibt ein umfangreiches Begleitprogramm: mit Tastings, ganzen Food-Pairing-Menüs, Seminaren, Wein Yoga und speziellen Führungen, etwa zu den Trinkgefäßen. Alle Infos und Tickets gibt es hier.

Zudem gibt es, so lange der Vorrat reicht, die Sonderedition von Kraftpaule und Kesselliebe als Dreier-Set zu kaufen: eine Flasche helles Bockbier, eine Flasche Riesling und eine Flasche vom hellen Riesling-Bock, alles im speziellen Design der Ausstellung. Mehr zum Thema Bier-Wein-Hybride gibt es hier im Blog.

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