Corona frisst lokale Craftbier-Brauer

Corona macht allen zu schaffen. Foto: Kerstin Fritzsche

In den ersten beiden Corona-Jahren war es zwar hart für Brauereien und Brauer, aber sie überlebten, irgendwie. Noch bezogen sich die Verluste auf die Einnahmen durch gecancelte Feste. Im Februar titelte das Branchen-Magazin „Getränke-News“ drastisch: „Das Brauerei-Sterben hat begonnen“. Nicht übertrieben. Auch in der Region Stuttgart mussten in diesem Jahr drei Craft-Brauereien aufgeben.

Die Spuren der Corona-Krise kommen erst jetzt, aber sie werden umso tiefer sein, nämlich existenzvernichtend. Der Deutsche Brauer-Bund geht davon aus, dass seit seit Beginn der Pandemie 40 Brauereien in Deutschland schließen mussten. Darunter seien allein 26 Unternehmen aus der Größenklasse bis 5.000 Hektoliter Jahresausstoß. Die Corona-Pandemie habe im Jahr 2021 zu massiven Einbußen für die deutsche Brauwirtschaft geführt. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes ging der Inlandsabsatz im Vergleich zum Rekordminus des Vorjahres nochmals um 3,4 Prozent auf 7 Milliarden Liter zurück, gab der Deutsche Brauer-Bund im Februar bekannt. Gegenüber 2019, dem Jahr vor der Corona-Krise, sei der Inlandsabsatz 2021 sogar um 8,6 Prozent niedriger gewesen. Eine interessante Statistik findet sich hier.

Einziger Lichtblick in der deutschen Brauwirtschaft: alkoholfreie Biere. Die entwickeln sich seit Jahren positiv und werden immer beliebter. Sie sind aber in der amtlichen Statistik nicht enthalten und haben somit keinen Effekt auf die Bilanzen.

Einbrüche, Insolvenzen und Sterben bei kleinen Brauereien höher und nicht absehbar

CaSt im Stuttgarter Heusteigviertel. Foto: Kerstin Fritzsche
CaSt im Stuttgarter Heusteigviertel. Foto: Kerstin Fritzsche

Die Zahlen heißen übersetzt aber auch: Gerade kleinere Brauereien, die sehr stark von Veranstaltungen, Festen und einem florierenden Gastronomie-Geschäft abhängig sind, trifft es sehr viel stärker – und hier ist noch nicht abzusehen, wie viele ihren Betrieb noch aufgeben müssen. Das Sterben hat hier gerade erst begonnen. Leider auch in der Region Stuttgart. In den letzten Monaten mussten CaSt, Lost River Brewing und Bierwerk Gerstenfux aufgeben. Ende 2020 hatte ich sie  gefragt, wie es ihnen ging. Damals wollte natürlich noch keiner wirklich ans Aufhören denken.

CaSt, der Pionier in Stuttgart

CaSt im Stuttgarter Heusteigviertel. Foto: Kerstin Fritzsche
CaSt im Stuttgarter Heusteigviertel. Foto: Kerstin Fritzsche

Circa anderthalb Jahre vor Beginn der Pandemie war die Stuttgarter CaSt-Brauerei gerade erst umgezogen, vom kultigen, aber inzwischen zu kleinen Hinterhof im Heusteigviertel in die riesige Halle in Feuerbach, mit mehr Platz für Tanks, Abfüllmaschine, Lagerung, bessere Logistik. Groß waren die Pläne von Daniel Bleicher und Zachary Clemens (die edgy Erfolgsgeschichte von CaSt gibt es hier bei mir noch mal zum Nachlesen). Im Oktober 2019 gab es noch eine Wiedereröffnungsfeier am neuen Standort. Aber leider hat die Krise den Beiden das Genick gebrochen, und sie mussten die Reißleine ziehen. Ihre erstklassigen Biere werden unvergessen sein. Ich persönlich werde vor allem das Red Ale und das Pumpkin Ale vermissen. Den Brauerei-Standort übernahm Rossknecht. Dahinter steckt Andreas Rothacker, der mit der Marke und der Brauerei seit Jahren in Ludwigsburg den Stammsitz hat. Auch im Schloss in Bietigheim gibt’s das Bier. Rothacker, der für die Freien Wähler in Ludwigsburg politisch aktiv war, verließ im April den Gemeinderat, um sich Gastro und Bierbrauen voll und ganz widmen zu können. Zudem ist er ausgebildeter Trauma-Coach.

Start mit Streit

Die Expansion von Rossknecht sorgte auch beim Stuttgarter Platzhirschen Dinkelacker fast für ein Trauma. Denn damit war Rothackers Bier „Fräulein Cluss“ plötzlich überall. Dinkelacker produziert und vertreibt aber schon viel länger ein Bier namens „Cluss“ – und drohte wegen Markenrechtsverletzung mit einer Klage. Im Juli einigten sich die Brauer, sodass es nicht vor Gericht gehen musste, und aus „Fräulein Cluss“ wurde „Fräulein Müller“. Tatsächlich hätte Rothacker wohl eine fette Klage gedroht, denn „Cluss“ ist nicht nur einfach ein Bier-Name, sondern war mal eine Heilbronner Brauerei. Deren Rechte sicherte sich die Dinkelacker GmbH 1982. Wer den ganzen Streit nachlesen möchte, ist bei den „Stuttgarter Nachrichten“ gut bedient.

„Lost River Brewing“ – die Hommage an Stuttgarts vergessenen Nesenbach

Sven Fuchs von Lost River Brewing in Stuttgart liefert selbst aus

Von Daniel Bleichers Geschichte inspiriert fühlte sich Sven Fuchs in Gablenberg. Hobbybrauer seit langem, wagte er sich 2016 ins Bier-Business. Sein „Lost River Brewing“, der Name eine Hommage an Stuttgarts Nesenbach, gab es angefangen mit der „Alten Schule“ in Gablenberg an immer mehr Gastro-Standorten sowie in der Bierothek und beim Kraftpaule im Shop. Noch während der Pandemie zeigte sich Sven einigermaßen zuversichtlich, dass es nach den Lockdowns wieder aufwärts gehen würde, er die Durststrecke überbrücken könne. Liefergemeinschaften wurden gegründet, man half sich in der Szene gegenseitig. Aber auch für ihn langte es nicht. Der gelernte Brotjob musste wieder her, Brauen wurde wieder „nur“ zum Hobby.

Der Gerstenfux geht nicht mehr um

Die Gerstenfux-Biere. Foto: Kerstin Fritzsche
Die Gerstenfux-Biere. Foto: Kerstin Fritzsche

 

Vor zwei Monaten verkündete auch Santiago Javier Ramírez Aguilar das Aus für sein Bierwerk Gerstenfux. Gegründet 2017, hatte Santiago noch in der Krise mit Crowdfunding und Unterstützung der Gemeinde in Nürtingen in der Altstadt ein Bier-Pub aufgemacht. Zudem hatte er sich um mehr Vertrieb gekümmert, dass sein Bier auch in die Supermärkte und an mehr Zapfhähne der örtlichen Gastro in der Region kam. Aber da der Absatz überall einriss und kein Verkauf mehr bei Festen und Veranstaltungen stattfinden konnte, war das Bierwerk letztlich nicht mehr zu halten. Fazit: Auch hier gehen sehr gute und innovative Biere verloren, die eine gute Gegenposition zum Industriebier bildeten. Jetzt hat der Fux dem Hasen leider endgültig gute Nacht gesagt.

Branche appelliert an Politik

Just vor zwei Tagen haben die Verbände der deutschen Getränkeindustrie eine gemeinsame Stellungnahme herausgegeben. Darin appellieren sie an die Politik, zu handeln, bevor es zu spät ist. Durch die monatelangen Zwangsschließungen hätten sich in diesem Jahr die finanziellen Verluste nicht einholen lassen. Es gäbe keine Rücklagen mehr, die Kapitaldecke sei sehr dünn. Durch jetzt weiter drohende Kostensteigerungen (Energiekrise etc.) sei für die Unternehmen ein „existenzbedrohendes Ausmaß erreicht“. Es sei „nicht akzeptabel, wenn Unterstützungsmaßnahmen mit der Begründung versagt bleiben, diese würden den Anreiz mindern, Energie zu sparen und unabhängiger von Gas zu werden“. Ganz klar heißt es an die Adresse der Bundesregierung: „Ohne ein schnelles Eingreifen des Staates und ohne wirksame Hilfen werden allein in der deutschen Getränkewirtschaft hunderte Betriebe und tausende Mitarbeiter ihre Existenz verlieren.“

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